Aktuell tummeln sich einige Bücher in den Bestsellerlisten, die sich thematisch um das Jahr 1913 drehen und somit einen Fokus werfen auf das Deutschland vor 100 Jahren und kurz vor dem 1. Weltkrieg.
Im Rahmen einer wissenschftlichen Arbeit bin ich zufällig ebenfalls in diese Zeit gerutscht. Der hier vorliegende „Violets Berufswahlführer“ von 1911 heißt: „Der Bibliothekar – Eine Darstellung seines Werdeganges mit Einschluß der Bibliothekarin unter Berücksichtigung des Dienstes an Volksbibliotheken.“ Der Autor Karl Lange war übrigens selbst Bibliothekar (http://d-nb.info/gnd/116787597) und wendete sich dem damals noch recht neuen Berufsbild zu. Zwar gab es den bibliothekarischen Beruf schon viel länger, aber je nach Land (Preußen, Bayern) waren die Verordnungen erst wenige Jahre alt.

Der Bibliothekar an wissenschaftlichen Bibliotheken musste neben einem Abitur an einem humanistischen Gymnasium sowie eine erste Prüfung in Theologie, Jura, Lehramt oder ähnliches studiert haben, um zu einem unbezahlten 1,5 Jahre dauernden Volontariat zugelassen zu werden. Natürlich musste der angehende Bibliothekar beweisen, dass er diese finanzielle Durststrecke auch finanziert bekommt. Übrigens, eine Promotion wurde später auch vorausgesetzt, wenn es um höhere Ämter in der Bibliothek ging.
Ein Abitur an einem Realgymnasium oder einem Reformgymnasium war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gern gesehen, aber wer die Nachprüfung im Lateinischen, Hebräischen und Griechischem bestand, hatte eine Chance. Später im Text wird Englisch, Französisch und Italienisch ebenfalls als „beherrschbar“ vorausgesetzt.
Auf 112 Seiten legt Lange eine umfassende Beschreibung des Berufsbildes an:
„Reichtümer wird der, der Bibliothekar werden will, nicht erwerben.“ (Gilt auch 100 Jahre später noch)
„Von einem Bibliothekar verlangt man vor allem: Ordnungsliebe, Fleiß, taktvolles, gewandtes Benehmen und Wohlerzogenheit im Verkehr mit dem Publikum.“ (passt auch heute noch so ähnlich in jede Stellenanforderung)
„Vor allem darf der Bibliothekar nie vergessen, selbst an der wissenschaftlichen Forschung mitzuarbeiten.“ (was hiermit getan wäre…)
Nicht zu vergessen sei das Kapitel VI. über die Gesundheitsverhältnisse. „Es ist eine irrige Vorstellung, daß zum Bibliothekar der gut genug sei, der in einem anderen Beruf nicht vorwärts gekommen ist, aber ebenso irrig ist die Meinung, als Bibliothekar fände der noch ein Unterkommen, der ein körperliches Gebrechen hat. Im Gegenteil! Zum Bibliothekar taugt gerade nur der, der eine eisenfeste Gesundheit besitzt, nicht nervös wird und scharfes Auge hat, um oft die subtilen Untersuchungen anzustellen.“ (…) „Dazu kommt noch der wechselnde, anregende aber aufreibende Dienst im Katalog- und Lesesaal.“ (nun weiß der geneigte Leser auch, warum wir uns da regelmäßig am Infoplatz abwechseln)
Immerhin findet sich auch ein Absatz zum Volksbibliothekar in Volksbibliotheken. Leitung und Betrieb sollte hier durch einen wissenschaftlichen Bibliothekaren erfolgen, denn der oberste „Volkserzieher“ der Institution wird seine persönlichen Eigenschaften gerade hier wieder benötigen.
Und die Bibliothekarin ? Ja, die hat auch ein eigenes Kapitel. Die höhere Töchterschule sollte es schon sein, zudem ein Abschluß einer höheren Handelsschule. Dann sah der Berufswahlführer auch ein geignetes Tätigkeitsfeld für Frauen in Bibliotheken – vor allem aber in Volksbibliotheken, denn „viele Stellen in diesen Bildungsanstalten sind mit Damen besetzt worden, die außer Lust und Liebe zur Volksbibliothek, widerstandsfähiger Gesundheit, guter Schulbildung und bibliothekarischer Praxis viel Eifer für ihren Beruf als Bibliothekarin mitbrachten.“ Möglich wurde das durch den Erlaß vom 10. August 1909 für die Diplomprüfung im mittleren Dienst.
Lange weist darauf hin, dass sich diese Frauen auch schon im „Verein der bibliothekarisch arbeitenden Frauen“ organisiert hätten. Doch spätestens bei der Bezahlung und Herarchie war die Frau meist nur an einer Stelle gesehen: am unteren Ende. Die Zweigstellenleitungen in Hamburg und Berlin waren das Maximum der Karriereleiter.
Man siehe als Beweis diese Gehaltstabellen im Buch:

Während der Direktor (männlich!) der Stadtbibliothek Hamburg mit 10.000 – 12.000 Mark der bestverdienenste Bibliothekar in diesem Bändchen ist, wird der Assistentin (weiblich!) in Tübingen bei 1800 – 2500 Mark wenigstens noch eine freie Wohnung mit Licht (!) und Heizung gestellt. ScG – Gerald Schleiwies
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